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Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen des Rechtsanwalts als gerichtlich bestellter Sachwalter

Ra 2019/13/0025 vom 15. Dezember 2021

Ein Rechtsanwalt beantragte die Aufhebung und Abänderung der an ihn ergangenen Umsatzsteuervorschreibung für 2014. Er war der Ansicht, dass die Entschädigung, die er für seine Tätigkeit als gerichtlich bestellter Sachwalter erhielt, bei Beachtung der unionsrechtlichen Mehrwertsteuerrichtlinie nicht der Umsatzsteuer unterliege.

Das Finanzamt ging hingegen von der Umsatzsteuerpflicht der Entschädigung aus.

Die Beschwerde des Rechtsanwalts wies das Bundesfinanzgericht (BFG) ab. Es verneinte die Anwendbarkeit der Umsatzsteuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g Mehrwertsteuerrichtlinie, weil ein Rechtsanwalt seine Leistung nicht als "anerkannte soziale Einrichtung" erbringe.

Der Rechtsanwalt erhob zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Nachdem der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde abgelehnt hatte, erhob der Rechtsanwalt auch Revision an den VwGH.

Der VwGH hob die angefochtene Entscheidung des BFG auf und stützte sich dabei auf die Entscheidung des EuGH vom 15. April 2021, C‑846/19. Der VwGH begründete wie folgt:

Für die Beurteilung der Befreiung von der Umsatzsteuer nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g Mehrwertsteuerrichtlinie sind zwei Voraussetzungen zu prüfen:

Erstens müssen Leistungen, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind, erbracht werden. Der Rechtsanwalt erbrachte als vom Gericht bestellter Sachwalter Dienstleistungen an geistig hilfsbedürftige Personen. Damit liegen solche Leistungen vor, weshalb die erste Voraussetzung erfüllt ist.

Zweitens muss die Leistung von einer Einrichtung des öffentlichen Rechts oder einer vom Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung erbracht werden. Regelungen, wann ein Rechtsträger als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt wird, sind im österreichischen Umsatzsteuerrecht nicht vorgesehen. Durch die bloße gerichtliche Bestellung eines Rechtsanwalts zum Sachwalter kann noch nicht von einer solchen Einrichtung gesprochen werden. Die gerichtliche Bestellung führt auch noch zu keiner derartigen Anerkennung. Es kommt vielmehr darauf an, ob ein Rechtsanwalt sein Unternehmen unter Bedingungen betreibt, die eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter rechtfertigen. Es sind dabei sämtliche maßgeblichen Umstände zu prüfen, insbesondere das Bestehen spezifischer Vorschriften, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und der Gesichtspunkt, dass die Kosten der fraglichen Leistungen von anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden.

Im vorliegenden Fall sind manche der in der Rechtsprechung des EuGH angeführten Kriterien erfüllt (Bestehen von spezifischen Vorschriften; Tätigkeit ist im Gemeinwohlinteresse), ein anderes hingegen nicht (Tragung der Kosten durch Einrichtungen der sozialen Sicherheit). Aufgrund fehlender Feststellungen des BFG konnte die im Hinblick auf die Wahrung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität wesentliche Frage noch nicht beurteilt werden, ob andere Steuerpflichtige (wie etwa gemeinnützige Vereine) von der Verwaltungspraxis als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt wurden.

Das BFG wird daher im fortzusetzenden Verfahren zu prüfen haben (und Feststellungen dazu zu treffen haben), ob andere Steuerpflichtige (etwa gemeinnützige Vereine), die unter vergleichbaren Umständen wie der Revisionswerber Sachwalterleistungen erbringen, von der im Streitzeitraum geübten allgemeinen Verwaltungspraxis als Einrichtungen mit sozialem Charakter iSd. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g Mehrwertsteuerrichtlinie anerkannt und deswegen von der Umsatzsteuer befreit wurden.

Der VwGH hob daher die angefochtene Entscheidung auf.

Download: Volltext der Entscheidung