Der Gebrauch von Cookies erlaubt uns Ihre Erfahrung auf dieser Website zu optimieren. Wir verwenden Cookies zu Statistikzwecken und zur Qualitätssicherung. Durch Fortfahren auf unserer Website stimmen Sie dieser Verwendung zu.

Weitere Informationen

Image-Film abspielen

Information
Sämtliche Entscheidungen ab 1990 sind durchgehend im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) erfasst. Ältere unveröffentlichte Entscheidungen können gegen Ersatz der Kopierkosten im Servicecenter bestellt werden.

Anspruch auf Pflegekarenzgeld: Die zu pflegende bzw. zu begleitende Person muss nicht in Österreich krankenversichert sein

Ra 2021/08/0061 vom 20. Dezember 2022

Im vorliegenden Fall trat eine in Österreich krankenversicherte Frau in Familienhospizkarenz für eine Sterbebegleitung ihres in Polen lebenden Vaters. Sie beantragte dazu beim Sozialministeriumservice die Gewährung von Pflegekarenzgeld.

Das Sozialministeriumservice wies den Antrag mit Bescheid ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) abgewiesen (wodurch der Bescheid „bestätigt“ wurde). Sowohl die Behörde als auch das BVwG gingen davon aus, dass aufgrund des grenzüberschreitenden Sachverhalts die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004) zur Anwendung komme. Beim Pflegekarenzgeld handle es sich im Sinne dieser VO um eine "Leistung bei Krankheit". Für eine Auszahlung des Pflegekarenzgelds ("nach Polen") bedürfe es - nach Ansicht der Behörde und des Gerichts - einer Zuständigkeit Österreichs, was voraussetze, dass die zu begleitende Person in Österreich krankenversichert sei. Der in Polen lebende Vater verfüge jedoch über keine österreichische Krankenversicherung, weshalb der Antrag auf Pflegekarenzgeld abzuweisen gewesen sei.

Die Frau erhob dagegen Revision.

Der VwGH setzte sich mit der Frage auseinander, ob für einen Anspruch auf Pflegekarenzgeld Voraussetzung ist, dass die zu begleitende Person in Österreich krankenversichert ist.

Das Pflegekarenzgeld wurde im Jahr 2013 im Bundespflegegeldgesetz (BPGG) eingeführt (§§ 21c bis 21f BPGG). Es dient der finanziellen Absicherung jener Personen, die sich zur Pflege oder für eine Sterbebegleitung eines nahen Angehörigen in Karenz (Pflegekarenz bzw. Familienhospizkarenz, geregelt im Arbeitsvertragsrechtsanpassungsgesetz) befinden. Nach § 21c BPGG muss für einen Anspruch auf Pflegekarenzgeld die pflegende bzw. begleitende Person für mindestens drei Monate in Österreich krankenversichert gewesen sein. Die Annahme, wonach auch die zu pflegende bzw. zu begleitende Person in Österreich krankenversichert sein muss, findet hingegen keine Deckung im BPGG.

Entgegen der Ansicht der Behörde und des BVwG ist eine solche Voraussetzung - wie der VwGH ausführlich begründete - auch nicht aus dem Unionsrecht, insbesondere der VO 883/2004, abzuleiten. Nach der Rechtsprechung des EuGH können die Leistungen der sozialen Sicherheit, die unter diese Verordnung fallen, nämlich auch von einem Mitgliedstaat gewährt werden, der dafür nicht zuständig ist, solange es dadurch nicht zu Mehrfachleistungen für denselben Zeitraum kommt. Da es im vorliegenden Fall für solche Mehrfachleistungen (also für einen gleichzeitigen Anspruch der Revisionswerberin bzw. ihres Vaters auf eine entsprechende Leistung durch Polen) keinen Anhaltspunkt gab, kam es nicht darauf an, ob Österreich nach der VO 883/2004 für die Gewährung des Pflegekarenzgelds zuständig war bzw. ob - als eine der möglichen Voraussetzungen für diese Zuständigkeit - der zu begleitende Angehörige in Österreich krankenversichert war.

Für einen Anspruch auf Pflegekarenzgeld ist es somit - jedenfalls dann, wenn es zu keiner Doppelversorgung kommt - weder nach dem nationalen Recht noch nach dem Unionsrecht erforderlich, dass die zu pflegende oder zu begleitende Person in Österreich krankenversichert ist. 

Der VwGH hob die angefochtene Entscheidung des BVwG daher auf.


Download: Volltext der Entscheidung