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Ärztegesetz: Zulässige Meinungsäußerungen durch einen Arzt

Ra 2021/09/0269 vom 22. März 2023

Der vorliegende Fall betrifft ein Disziplinarverfahren gegen einen Arzt. Im zeitlichen Zusammenhang zu Diskussionen über Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie, insbesondere der Masken- und Impfpflicht, nahm der Arzt im Oktober 2020 an einer Pressekonferenz teil und gab im Jänner 2021 einer Tageszeitung ein Interview. Im Wesentlichen tätigte der Arzt bei diesen Anlässen die Äußerungen, dass die Maßnahmen teils unverhältnismäßig gewesen seien, Stoffmasken keinen effektiven Beitrag leisten würden bzw. andere Maßnahmen sinnvoller wären sowie dass er Impfungen zwar nicht ablehne, aber nur für jene Menschen sinnvoll halte, die durch COVID-19 ein hohes Risiko hätten. Eine generelle Impfpflicht lehne er aufgrund des kurzen, (zum Zeitpunkt der Äußerungen) dreimonatigen Beobachtungszeitraums, insbesondere betreffend die Wirkungsdauer der Impfung ab. Vor allem wisse man nicht, ob geimpfte Personen die Infektion weitergeben würden, so der Arzt.

Der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer ging davon aus, dass der Arzt aufgrund dieser Äußerungen das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigt hatte (nach § 136 Abs. 1 Z 1 Ärztegesetz ein Disziplinarvergehen), weshalb er im Juni 2021 eine Disziplinarstrafe über den Arzt verhängte.

Der Arzt erhob gegen die Disziplinarstrafe eine Beschwerde an das zuständige Verwaltungsgericht.

Das Verwaltungsgericht hob die Strafe auf und sprach den Arzt (nach dem Ärztegesetz) frei. Dabei ging das Gericht davon aus, dass eine Disziplinarstrafe mit der Meinungsfreiheit des Arztes nicht vereinbar sei.

Der Disziplinaranwalt der Österreichischen Ärztekammer erhob gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine Revision.

Der VwGH prüfte, ob die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, die Aussagen des Arztes seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, vertretbar erfolgt ist.

Dazu hielt der VwGH fest, dass gemäß Art. 10 Abs. 1 EMRK jeder Mensch einen Anspruch auf freie Meinungsäußerung hat. Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit ist nach Art. 10 Abs. 2 EMRK nur dann erlaubt, wenn er gesetzlich vorgesehen ist, dieser einen nach der EMRK anerkannten Zweck (etwa Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Gesundheit) verfolgt und dieser Eingriff notwendig (im Sinne von verhältnismäßig) ist.

Die Frage, ob eine Disziplinarstrafe (unzulässig) in die Meinungsfreiheit eingreift, ist nach der Rechtsprechung des VwGH am Maßstab von Art. 10 Abs. 2 EMRK zu prüfen. Dabei ist eine Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen und den Interessen des Betroffenen dahingehend, ob die Einschränkung notwendig ist. Aufgrund des großen Gewichts der Meinungsfreiheit muss die Notwendigkeit einer Bestrafung außer Zweifel stehen. Äußerungen über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse kommt nach Art. 10 EMRK ein besonders hoher Schutz zu. Dieser Schutz kann auch jenen Äußerungen zukommen, die provozieren, schockieren oder stören.

Dem VwGH hatte im Zusammenhang die Aufgabe, zu überprüfen, ob die Abwägung vertretbar im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde. Dabei kommt es in der Regel nicht darauf an, ob auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt wäre.

Im konkreten Fall tätigte der Arzt Äußerungen im Zusammenhang mit der kontrovers geführten Diskussion über COVID-19-Maßnahmen, insbesondere der Impfpflicht, so der VwGH weiter. Der Arzt wollte erkennbar einen Beitrag zur öffentlichen Debatte leisten, tätigte er doch die Äußerungen im Rahmen einer Pressekonferenz oder eines Interviews. Darüber hinaus lehnte der Arzt die COVID-19-Maßnahmen nicht schlechthin ab, sondern vertrat eine differenzierte Ansicht, die er auch näher begründete. Insbesondere lehnte er die Impfung nicht pauschal ab, sondern hinterfragte die Sinnhaftigkeit einer Impfpflicht und befürwortete wiederum die Impfung für Personen mit einem hohen Risiko durch COVID-19 ausdrücklich. Die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach die Äußerungen von der Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK gedeckt gewesen seien und eine Disziplinarstrafe einen unzulässigen Eingriff in diese darstellen würde, war für den VwGH vertretbar.

Abschließend stellte der VwGH klar, dass es auch Ärzten möglich sein muss, in dieser Eigenschaft an öffentlichen Debatten über gesundheitspolitische Themen teilzunehmen und Sachkritik zu äußern. Zum Schutz des Vertrauens der Bevölkerung in die Seriosität der Berufsausübung und Fachexpertise ist jedoch ein strenger Maßstab anzulegen. Äußerungen, die „gar der Vernunft“ widersprechen, sind von der Meinungsfreiheit keinesfalls gedeckt.

Der VwGH wies die Revision zurück.


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Volltext der Entscheidung