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§ 57a RStDG: Kein Verstoß gegen das Gebot des achtungsvollen Umgangs durch einen Richter
Ra 2022/09/0089 vom 28. November 2022
Der vorliegende Fall betrifft ein bereits laufendes Disziplinarverfahren gegen einen Richter. Die zuständige Disziplinaranwältin beantragte beim Disziplinargericht die Ausdehnung der Disziplinaruntersuchung auf weitere Vorwürfe. So seien zu den bisher bereits zu untersuchenden vorgeworfenen Verfahrensverzögerungen und geringen Erledigungszahlen weitere derartige Vorwürfe hinzugetreten. Darüber hinaus habe sich der Richter "ungebührlich gegenüber Vorgesetzten und Kollegen" verhalten:
Unter anderem sei der Richter, ohne dass er nach seinem Klopfen hereingebeten worden sei, in das Zimmer seines Außenstellenleiters eingetreten und habe diesem mitgeteilt, dass sich die Standesvertretung bei ihm melden werde. Er habe in seinem durch seinen Anwalt verfassten Schriftsatz, mit dem er gegen die ihn betreffende Entscheidung des Personalsenats Beschwerde erhob, auf aus seiner Sicht ebenfalls dienstrechtwidriges Verhalten bzw. mangelhafte Erledigungen einer Kollegin und Berichterin im Personalsenat verwiesen. Ähnliche Ausführungen wurden im Schriftsatz auch über eine weitere Kollegin erstattet. In einem weiteren durch seinen Anwalt eingebrachten Schriftsatz wandte sich der Richter gegen die Untersagung einer Nebentätigkeit durch den Präsidenten des Gerichts und verglich darin erneut seine mit den Erledigungen anderer Gerichtsabteilungen. Schließlich habe der Richter an seinen Präsidenten an einem Sonntagabend einen Antrag auf Entbindung von der Amtsverschwiegenheit für eine Befragung am darauffolgenden Dienstag gestellt. Dem Präsidenten sei daher nur ein Arbeitstag zur Erledigung dieses Antrags verblieben. All dies verstoße gegen das Gebot des achtungsvollen Umgangs und das Mobbingverbot.
Mit Beschluss dehnte das Disziplinargericht die Disziplinaruntersuchung um diese Vorwürfe aus.
Der Richter erhob dagegen eine Revision an den VwGH.
Zunächst wies der VwGH die Revision hinsichtlich der Verfahrensverzögerungen und geringen Erledigungszahlen zurück, weil es dem Richter nicht gelang, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen. Insbesondere wies der VwGH darauf hin, dass kein Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht" besteht. Der Richter wird nicht dadurch benachteiligt, dass eine Kollegin, die aus seiner Sicht ähnliche Dienstpflichtverletzung (Verfahrensverzögerungen, niedrige Erledigungszahlen) begangen habe wie er selbst, nicht disziplinar verfolgt wird.
Hinsichtlich des vorgeworfenen "ungebührlichen Verhaltens gegenüber Vorgesetzten und Kollegen" war die Revision jedoch zulässig. Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung stellte der VwGH klar, dass ein Disziplinarverfahren im Wesentlichen dann einzuleiten ist, wenn ein ausreichender Verdacht für eine begangene Dienstpflichtverletzung besteht. Umgekehrt bedeutet dies, dass wenn eine Dienstpflichtverletzung bereits ausgeschlossen werden kann, von einer Einleitung (bzw. hier: Ausdehnung) des Disziplinarverfahrens abzusehen ist.
Es war Absicht des Gesetzgebers, mit dem Gebot des achtungsvollen Umgangs nach § 57a Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG) Mobbing zu verhindern. Mobbing liegt dabei im Wesentlichen dann vor, wenn durch ein Verhalten die menschliche Würde einer Person verletzt oder die dienstliche Zusammenarbeit ernstlich gestört wird. Insbesondere soll etwa nicht jede spontane Gemütsäußerung "auf die Goldwaage gelegt" werden, so der VwGH weiter.
Dementsprechend hielt der VwGH fest, dass das Eintreten nach dem Klopfen ohne hereingebeten worden zu sein oder auch das zeitlich knappe Stellen eines Antrags auf Entbindung von der Amtsverschwiegenheit keinen Verstoß gegen das Gebot des achtungsvollen Umgangs nach § 57a RStDG und somit keine Dienstpflichtverletzung darstellen (können).
Hinsichtlich der übrigen Tatvorwürfe die sich auf die in den Schriftsätzen getätigten Äußerungen beziehen, stellte der VwGH zunächst klar, dass jeder Beamte das Recht hat, sich gegen interne Vorwürfe zu wehren. Dabei sollte Kritik sachlich sein und den Anstand wahren, wobei der VwGH darauf hinwies, dass grundsätzlich auch störende Äußerungen von der Meinungsfreiheit umfasst sind. Im vorliegenden Fall wurden die Schriftsätze jedoch von einem Anwalt verfasst. Für den Inhalt war somit nicht der vertretene Richter selbst, sondern dessen Anwalt verantwortlich. Dieser ist wiederum gegenüber der Rechtsanwaltskammer als seine Disziplinarbehörde verantwortlich.
Hinsichtlich des vorgeworfenen "ungebührlichen Verhaltens gegenüber Vorgesetzen und Kollegen" dehnte das Disziplinargericht die Disziplinaruntersuchung daher zu Unrecht aus, weshalb der VwGH den Beschluss insoweit aufhob.