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§ 58c Staatsbürgerschaftsgesetz: Auch Nachkommen jener Verfolgten, die die Staatsbürgerschaft nie verloren haben, können die Staatsbürgerschaft vereinfacht erlangen
Ra 2023/01/0359-0362 vom 26. September 2024
Gemäß § 58c Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) können Personen, die auf Grund nationalsozialistischer Verfolgung aus Österreich fliehen mussten, oder deren Nachkommen die österreichische Staatsbürgerschaft durch Anzeige wiedererlangen. Direkte Nachkommen können auch dann die Staatsbürgerschaft erwerben, wenn ihr Vorfahre die Staatsbürgerschaft über § 58c StbG erworben hat oder erwerben hätte können.
Die Großmutter bzw. Urgroßmutter (Vorfahrin) der drei revisionswerbenden Nachkommen verließ Österreich im Jahr 1927 nach Argentinien, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Sie verlor nie die österreichische Staatsbürgerschaft.
Ihr in Argentinien geborener Enkel sowie dessen beide Kinder sind argentinische Staatsangehörige; sie begehrten bei der Wiener Landesregierung durch Anzeige gemäß § 58c StbG den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Die Wiener Landesregierung stellte näher begründet mit Bescheiden fest, dass die Nachkommen die Staatsbürgerschaften nicht erworben hätten.
Dagegen erhoben die Nachkommen Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien.
Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerden als unbegründet ab. Das Verwaltungsgericht ging im Wesentlichen davon aus, die Nachkommen würden deshalb nicht die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 58c Abs. 3 StbG erwerben können, weil ihre Vorfahrin die österreichische Staatsbürgerschaft nach § 58c StbG weder erworben habe noch erwerben hätte können. Sie sei bereits im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft gewesen und sei somit keine „Fremde“, die die Staatsbürgerschaft nach § 58c StbG „erwerben hätte können“. Bereits aus diesem Grund sei der Erwerb der Staatsbürgerschaften durch die Nachkommen ausgeschlossen, weshalb auch nicht zu prüfen sei, ob die Vorfahrin nationalsozialistische Verfolgung erlitten hat oder ihr solche gedroht hätte.
Die Nachkommen - und auch die Wiener Landesregierung - erhoben dagegen Revision an den VwGH.
Der VwGH hielt zu den Voraussetzungen für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Nachkommen von NS-Verfolgten gemäß § 58c StbG fest: Der Gesetzgeber beabsichtigte mit dieser Bestimmung eine Privilegierung beim Erwerb der Staatsbürgerschaft. Daher können die betroffenen Personen etwa auch - entgegen der grundsätzlichen Vorstellung des StbG, mehrfache Staatsangehörigkeiten zu vermeiden – ihre bisherigen Staatsangehörigkeiten beibehalten.
Da im vorliegenden Fall die Vorfahrin ihrerseits die österreichische Staatsbürgerschaft nicht gemäß § 58c StbG erworben hatte, sei daher zu prüfen, ob sie die Staatsbürgerschaft nach dieser Bestimmung erwerben hätte können. Der VwGH stellte unter Hinweis auf die diesbezüglich eindeutigen Gesetzesmaterialien klar, dass unter Personen, die die Staatsbürgerschaft „erwerben hätten können“ auch jene Fälle zu verstehen sind, in denen der verfolgte Vorfahre bereits verstorben ist, er die Staatsbürgerschaft (zuvor) auf andere Weise erworben oder nie verloren hat. Es ist vor diesem Hintergrund somit nicht erforderlich, dass der Vorfahre jemals „Fremder“ im Sinne des StbG war.
Der VwGH hob die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf. Im fortzusetzenden Verfahren hat das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob die Vorfahrin eine vom Anwendungsbereich des § 58c StbG erfasste NS-Verfolgte war, von der ihre Nachfahren die Staatsbürgerschaft ableiten können.