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Auf der Seite Vorabentscheidungsanträge an den EuGH werden jene Vorabentscheidungsersuchen angezeigt, über die der Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht entschieden hat.

20.06.2023 Epidemiegesetz 1950: Es besteht ein Anspruch auf Vergütung auch für ausländische Arbeitnehmer

Ra 2021/03/0098-0100, 0102, 0103 (EU 2022/0006-0010) vom 20. Juni 2023, C-411/22

Das Ausgangsverfahren betrifft einen Hotelier, in dessen Hotel auch mehrere Arbeitnehmer aus Slowenien und Ungarn arbeiteten. Bei Kontrolltestungen auf COVID-19 wurden diese Arbeitnehmer positiv getestet. Der Hotelier meldete dies der österreichischen Gesundheitsbehörde. Da die Arbeitnehmer über keinen Wohnsitz in Österreich verfügten, verhängte die Gesundheitsbehörde keine Absonderung nach österreichischem Recht. Stattdessen informierte die österreichische Gesundheitsbehörde die Gesundheitsbehörden in Slowenien und Ungarn, die im Anschluss Absonderungen (Quarantänen) der Arbeitnehmer nach dem jeweiligen nationalen Recht verhängten. Der Hotelier zahlte während dieser Absonderungen weiterhin das jeweilige Entgelt an die Arbeitnehmer.

Der Hotelier beantragte im Anschluss gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) die Vergütung für den Verdienstentgang für die Zeit der Absonderungen. Dabei ging er davon aus, dass mit der Auszahlung des Entgelts an die Arbeitnehmer der Anspruch gegenüber dem (österreichischen) Staat auf Vergütung des Verdienstentganges von den (im Ausland abgesonderten) Arbeitnehmern auf ihn übergegangen sei.

Sowohl die zuständige Bezirkshauptmannschaft als auch das zuständige Landesverwaltungsgericht wiesen diesen Antrag ab. Das Gericht ging davon aus, dass die Aufzählung in § 32 EpiG jener Fälle, in denen eine Vergütung des Verdienstentganges durch den Staat zu leisten sei, abschließend sei. Eine Vergütung sei nur dann zu leisten, wenn nach dem – österreichischen – EpiG (§§ 7, 17 oder 24) Maßnahmen erfolgt seien.

Gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts erhob der Hotelier Revision, in der er die Vereinbarkeit dieser Regelungen mit dem Unionsrecht in Frage stellte.

Auch der VwGH geht davon aus, dass sich in diesem Verfahren Fragen der Auslegung des Unionsrecht stellen.

So nimmt der VwGH aufgrund der Aktenlage einerseits an, dass es sich bei den Arbeitnehmern aus Slowenien und Ungarn um Grenzgänger im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004) handelt. Im Wesentlichen sieht die VO 883/2004 in ihrem Anwendungsbereich vor, dass Leistungen im Rahmen der sozialen Sicherheit - etwa hier: Leistungen bei Krankheit - auch ausländischen Arbeitnehmern zustehen. Fraglich ist dabei, ob es sich bei dem Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges nach § 32 EpiG, der mit der Auszahlung durch den Arbeitgeber auf diesen übergeht, um eine solche Leistung bei Krankheit im Sinne der VO 883/2004 handelt (1. Frage).

Sollte der EuGH aussprechen, dass es sich bei der Vergütung des Verdienstentganges nicht um eine Leistung bei Krankheit iSdVO 883/2004 handelt, stellt sich andererseits die Frage, ob die Regelungen des EpiG mit der unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV im Zusammenhang mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach der Arbeitnehmerfreizügigkeits-Verordnung vereinbar sind. Aus Sicht des VwGH machen die Arbeitnehmer nämlich von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch. Das Recht auf Freizügigkeit umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz sind nicht nur solche (offenen) Diskriminierungen verboten, sondern auch all jene (versteckten) Diskriminierungen, die durch die Anwendung anderer (als in Art. 45 AEUV aufgezählten) Unterscheidungsmerkmale – wie etwa dem Wohnsitz eines Arbeitnehmers im Inland – zum gleichen Ergebnis führen (so wohnen meist Ausländer nicht im Inland).

Im Ausgangsfall wurde dem Hotelier die Vergütung des Verdienstentganges mit der Begründung verweigert, dass die betreffenden Arbeitnehmer nicht durch einen Bescheid einer österreichischen Behörde nach dem EpiG abgesondert wurden. Nach dem EpiG können Maßnahmen nur gegenüber jenen Arbeitnehmern angeordnet werden, die ihren Wohnsitz in Österreich haben. Indem der Anspruch auf Vergütung auf Verdienstentgang gemäß § 32 EpiG eine Maßnahme nach dem EpiG – und somit mittelbar einen Wohnsitz in Österreich – voraussetzt, geht der VwGH davon aus, dass dadurch Arbeitnehmer mit Wohnsitz außerhalb Österreichs mittelbar diskriminiert werden und hat Zweifel daran, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt bzw. verhältnismäßig ist (2. Frage).

Der Beschluss im Volltext

Die Vorlagefragen im Wortlaut:

1. Handelt es sich bei einem Vergütungsbetrag, der Arbeitnehmern während ihrer Absonderung als an COVID-19 erkrankte, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen für die durch die Behinderung ihres Erwerbs entstandenen Vermögensnachteile gebührt, und der zunächst vom Arbeitgeber den Arbeitnehmern auszuzahlen ist, wobei der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber übergeht, um eine Leistung bei Krankheit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit?

Im Fall der Verneinung der ersten Frage:

2. Sind Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer der Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Gewährung einer Vergütung für den Verdienstentgang, der Arbeitnehmern aufgrund einer gesundheitsbehördlich verfügten Absonderung wegen eines positiven COVID-19-Testergebnisses entsteht (wobei die Vergütung zunächst vom Arbeitgeber den Arbeitnehmern auszuzahlen ist und insoweit ein Ersatzanspruch gegen den Bund auf den Arbeitgeber übergeht), davon abhängig ist, dass die Absonderung durch eine inländische Behörde aufgrund nationaler epidemierechtlicher Vorschriften verfügt wird, sodass eine derartige Vergütung für Arbeitnehmer, die als Grenzgänger ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben und deren Absonderung („Quarantäne“) durch die Gesundheitsbehörde ihres Wohnsitzstaats verfügt wird, nicht geleistet wird?

Mit Urteil vom 15. Juni 2023, C-411/22, hat der EuGH wie folgt geantwortet:

1. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass die staatlich finanzierte Vergütung, die Arbeitnehmern für die durch die Behinderung ihres Erwerbs entstandenen Vermögensnachteile während ihrer Absonderung als an COVID‑19 erkrankte, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen gewährt wird, keine „Leistung bei Krankheit“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt und daher nicht in den Geltungsbereich dieser Verordnung fällt.

Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der die Gewährung einer Vergütung für den Verdienstentgang, der den Arbeitnehmern aufgrund einer wegen eines positiven COVID‑19-Testergebnisses verfügten Absonderung entsteht, davon abhängt, dass die Anordnung der Absonderungsmaßnahme durch eine Behörde dieses Mitgliedstaats aufgrund dieser Regelung verfügt wird.

In seinem im Anschluss ergangenen Erkenntnis vom 20. Juni 2023 führte der VwGH aus, dass vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH sich eine Auslegung des § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG verbietet, nach der zwingende Voraussetzung einer Vergütung für Verdienstentgang nach dieser Bestimmung jedenfalls eine "gemäß §§ 7 oder 17" EpiG verfügte Absonderung durch eine österreichische Behörde ist. Vielmehr sind für Zwecke der Vergütung des Verdienstentganges auch Absonderungsmaßnahmen zu berücksichtigen, die von Behörden eines anderen Mitgliedstaates verhängt wurden und angesichts ihrer Zielsetzung, ihrer Art und ihren Auswirkungen den nach den §§ 7 und 17 EpiG verfügten Absonderungsmaßnahmen vergleichbar sind.

Der VwGH hob die angefochtene Entscheidung mit Erkenntnis vom 20. Juni 2023, Ra 2021/03/0098, daher auf.