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18.07.2023 : Vorabentscheidungsersuchen zum Bundesbesoldungsrecht nach der 2. Dienstrechts‑Novelle 2019
Ra 2020/12/0068, 0077 (EU 2021/0005, 0006) vom 18. Juli 2023, C-650/21
Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Frage, ob das nunmehr mit der 2. Dienstrechts‑Novelle 2019 geänderte Besoldungsrecht der Bundesbediensteten mit dem Unionsrecht im Einklang steht.
Ursprünglich bestand im österreichischen Besoldungsrecht der Grundsatz, dass Vordienstzeiten, die ein Beamter oder Vertragsbediensteter vor Vollendung des 18. Lebensjahres erworben hatte, bei der Ermittlung des Vorrückungsstichtags nicht zu berücksichtigen waren.
Bereits im Jahr 2009 erkannte der EuGH diese Regelung als unionsrechtswidrig, weil dadurch jene Dienstnehmer benachteiligt wurden, die bereits vor dem 18. Lebensjahr Zeiten erworben hatten, die ihnen angerechnet worden wären, wenn sie nach dem 18. Geburtstag gelegen wären (RS Hütter).
Als Reaktion auf diese Entscheidung wurden solche Vordienstzeiten mit der Besoldungsreform 2010 anrechenbar. Die Anrechnung erfolgte jedoch nur auf Antrag und betroffene Beamte stiegen erst nach 5 (statt 2 Jahren) in die nächste Gehaltsstufe auf. Weil sich dadurch wieder eine Schlechterstellung der bereits zuvor benachteiligten Beamten ergab, erkannte der EuGH im Jahr 2014 auch die Neuregelung der Besoldung als unionsrechtswidrig (EuGH 11.11.2014, Schmitzer, C-530/13).
Das Besoldungssystem wurde mit der Bundesbesoldungsreform 2015 erneut geändert. Nunmehr soll die Einstufung anstatt mittels Vorrückungsstichtags anhand des Besoldungsdienstalters erfolgen. Per Gesetz wurden die vorhandenen Dienstverhältnisse in dieses neue System übergeleitet. Ausgangspunkt war das zuletzt nach dem alten (nicht diskriminierungsfreien) System bezogene Gehalt (Überleitungsbetrag). Der VwGH setzte sich mit dieser Neuregelung auseinander. Unter anderem hielt er dazu fest, dass mit dieser Reform die in Rede stehende Altersdiskriminierung für vergangene Zeiträume endgültig und unüberprüfbar festgeschrieben würde (VwGH 9.9.2016, Ro 2015/12/0025).
Auch diese Rechtslage erkannte der EuGH in weiteren Verfahren als unionsrechtswidrig (EuGH 8.5.2019, Leitner, C-396/17, sowie EuGH 8.5.2019, ÖGB, GÖD, C-24/17).
Mit der 2. Dienstrechts‑Novelle 2019 und der Dienstrechts‑Novelle 2020 wurde das Besoldungsrecht erneut novelliert. Nunmehr soll das Besoldungsdienstalter mithilfe eines Vergleichsstichtags korrigiert werden. Beim Vergleichsstichtag werden jetzt zwar auch Zeiten zwischen dem 14. und dem 18. Lebensjahr berücksichtigt, jedoch nicht sämtliche Zeiten einer neuen Beurteilung unterzogen und die mögliche Anrechnung von vier Jahren an "sonstigen Zeiten" durch einen Pauschalabzug in dieser Höhe "neutralisiert". Bestimmte Zeiten als Lehrling werden zudem nur dann zur Gänze berücksichtigt, wenn das Bundesdienstverhältnis nicht bereits vor dem 31. März 2000 begründet wurde. Grundlage für das Besoldungsdienstalter ist weiterhin der (nicht diskriminierungsfrei ermittelte) Vorrückungsstichtag sowie der sich daraus ergebende Überleitungsbetrag.
Für den VwGH stellt sich nun die Frage (1. Frage bzw. 2. Frage), ob das nunmehrige Besoldungsrecht unionsrechtskonform ist. Insbesondere der Pauschalabzug könnte im Ergebnis dazu führen, dass die Diskriminierung der bisher benachteiligten Beamten nicht beseitigt wurde.
Die 3. Frage bezieht sich darauf, ob das Unionsrecht der Regelung der 2. Dienstrechts‑Novelle 2019 entgegensteht, wonach die Anrechnung von Lehrzeiten unterschiedlich erfolgt, je nachdem, ob das Bundesdienstverhältnis vor oder nach dem 1. April 2000 begann.
Die Vorlagefragen im Wortlaut:
"1) Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 21 der Grundrechtecharta, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der ein altersdiskriminierendes Besoldungssystem durch ein Besoldungssystem ersetzt wird, bei dem sich die Einstufung eines Beamten weiterhin nach dem gemäß dem alten Besoldungssystem zu einem bestimmten Überleitungsmonat (Februar 2015) nicht diskriminierungsfrei ermittelten Besoldungsdienstalter bestimmt und dabei zwar einer Korrektur hinsichtlich der ursprünglich ermittelten Vordienstzeiten durch Ermittlung eines Vergleichsstichtags unterzogen wird, bei dem aber hinsichtlich der nach dem 18. Geburtstag gelegenen Zeiten nur die sonstigen zur Hälfte zu berücksichtigenden Zeiten einer Überprüfung unterliegen und bei dem der Ausweitung des Zeitraums, in dem Vordienstzeiten zu berücksichtigen sind, um vier Jahre damit begegnet wird, dass die sonstigen, zur Hälfte zu berücksichtigenden Zeiten bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags nur insoweit voranzusetzen sind, als sie das Ausmaß von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren übersteigen (Pauschalabzug von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren)?
2) Ist die Frage zu 1) für jene Verfahren anders zu beantworten, in welchen vor dem Inkrafttreten der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 rechtskräftig zwar bereits ein neuer Vorrückungsstichtag festgesetzt wurde, dieser aber noch keine Auswirkung auf die besoldungsrechtliche Stellung des Beamten hatte, weil eine Entscheidung der Behörde unter unmittelbarer Anwendung des Unionsrechts noch nicht erfolgt war, und in denen nunmehr neuerlich ohne Berücksichtigung des inzwischen festgesetzten Vorrückungsstichtags der Vergleichsstichtag abermals in Bezug auf den altersdiskriminierend festgesetzten Vorrückungsstichtag zu ermitteln ist und die sonstigen zur Hälfte zu berücksichtigende Zeiten dem Pauschalabzug unterliegen?
3) Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 21 der Grundrechtecharta, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der trotz Neuermittlung des Besoldungsdienstalters und der besoldungsrechtlichen Stellung Zeiten in einem Ausbildungsverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft bei Ermittlung des Vergleichsstichtags nur dann voranzusetzen sind, wenn der Beamte nach dem 31. März 2000 in das Dienstverhältnis eingetreten ist, und andernfalls diese Zeiten nur als sonstige zur Hälfte zu berücksichtigende Zeiten vorangestellt werden und damit dem Pauschalabzug unterliegen, wobei diese Regelung tendenziell dienstältere Beamte benachteiligt?"
Volltext des Beschlusses
Mit Urteil vom 20. April 2023, C-650/21, hat der EuGH wie folgt geantwortet:
"1. Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Einstufung eines Beamten auf der Grundlage seines Besoldungsdienstalters in einem alten Besoldungssystem erfolgt, das für diskriminierend befunden wurde, weil dieses System für die Zwecke der Bestimmung des Besoldungsdienstalters nur die Berücksichtigung der anrechenbaren Vordienstzeiten erlaubte, die nach Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt wurden und damit vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte Vordienstzeiten ausschloss, soweit diese Regelung eine Korrektur der ursprünglich ermittelten anrechenbaren Vordienstzeiten durch Ermittlung eines Vergleichsstichtags vorsieht, bei dem für die Zwecke der Bestimmung des Besoldungsdienstalters nunmehr vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte anrechenbare Vordienstzeiten berücksichtigt werden, wenn zum einen hinsichtlich der nach dem 18. Geburtstag zurückgelegten Zeiten nur die zur Hälfte zu berücksichtigenden „sonstigen Zeiten“ berücksichtigt werden und zum anderen diese „sonstigen Zeiten“ von drei auf sieben Jahre erhöht werden, jedoch nur insoweit berücksichtigt werden, als sie vier Jahre übersteigen.
2. Der in Art. 20 der Charta der Grundrechte verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung und der Grundsatz der Rechtssicherheit sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für Beamte, bei denen am Tag der Kundmachung einer Gesetzesänderung des Besoldungssystems ein Verfahren zur Neufestsetzung ihrer besoldungsrechtlichen Stellung anhängig war, vorsieht, dass die Bezüge nach den neuen Bestimmungen über den Vergleichsstichtag – die neue Begrenzungen in Bezug auf die Höchstdauer der anrechenbaren Zeiten enthalten – neu ermittelt werden, so dass eine gegen die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78 in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte verstoßende Diskriminierung wegen des Alters nicht beseitigt wird, wohingegen eine solche Ermittlung nicht für Beamte vorgenommen wird, bei denen ein zuvor eingeleitetes Verfahren mit gleichem Gegenstand bereits durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossen war, die auf einem Stichtag beruht, der nach dem alten Besoldungssystem, dessen vom nationalen Richter für diskriminierend befundene Bestimmungen in unmittelbarer Anwendung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung unangewendet blieben, günstiger festgesetzt wurde.
3. Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78 in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte sind dahin auszulegen, dass sie nicht einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der bei einer inländischen Gebietskörperschaft absolvierte Lehrzeiten bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags nur dann in vollem Umfang berücksichtigt werden, wenn der betreffende Beamte nach einem bestimmten Zeitpunkt vom Staat eingestellt wurde, während Lehrzeiten zur Hälfte berücksichtigt werden und einem Pauschalabzug unterliegen, wenn der betreffende Beamte vor diesem Zeitpunkt vom Staat eingestellt wurde."
Weil das Bundesverwaltungsgericht im Ausgangsverfahren auf Grundlage der nationalen Bestimmungen nach der 2. Dienstrechts‑Novelle 2019 das Vorliegen einer Altersdiskriminierung verneinte, hob der VwGH die angefochtene Entscheidung mit Erkenntnis vom 18. Juli 2023, Ra 2020/12/0068, 0077, auf.