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21.3.2024 : Wasserrahmenrichtlinie: Fragen zu der Beurteilung des Zustands der Fischfauna in einem Gewässer
Ro 2020/07/0004 (EU 2022/0018) vom 20. Oktober 2022, C-671/22
Der VwGH hat dem EuGH zwei Fragen zur Einstufung des Zustandes von Seen nach der Wasserrahmenrichtlinie vorgelegt. Das Wasserrechtsgesetz (WRG 1959) sieht in Umsetzung dieser Richtlinie vor, dass Oberflächengewässer derart zu schützen, zu verbessern und zu sanieren sind, dass grundsätzlich eine Verschlechterung des jeweiligen Zustandes verhindert und ein "guter" Zielzustand erreicht wird (wasserrechtliches Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot). Dazu enthält bereits die Richtlinie umfangreiche Bestimmungen zur Einstufung von Gewässern hinsichtlich verschiedener zu bewertender Komponenten und schließlich des Gesamtzustandes in Zustandsklassen von "sehr gut" über "gut", "mäßig" und "unbefriedigend" bis "schlecht". Der vorliegende Fall betrifft die Komponente "Fischfauna" und die Frage, ob auch Zustandsverschlechterungen von Relevanz sind, die allein auf fischereiwirtschaftliche Maßnahmen zurückzuführen sind.
Im Ausgangsverfahren beantragte eine Gesellschaft die wasserrechtliche Bewilligung für die Errichtung einer Bootshütte am Ufer des Weißensees. Sowohl die zuständige Bezirkshauptmannschaft als auch in weiterer Folge das Landesverwaltungsgericht Kärnten wiesen den Antrag mit Hinweis auf den Gesamtzustand des Weißensees ab. Dieser sei nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes als "unbefriedigend" einzustufen, was allein auf den Zustand der Fischfauna im See zurückzuführen sei. Im Weißensee befänden sich nicht mehr alle ursprünglich vorhandenen Fischarten, darüber hinaus seien Fremdfischarten dazugekommen, sodass die Artenzusammensetzung massiv vom natürlichen Ausgangszustand abweiche. Dies sei in erster Linie durch eine "falsche Fischbewirtschaftung" verursacht. Die Fischfauna stelle eine der Komponenten zur Beurteilung der Wasserqualität dar. Alle übrigen Qualitätskomponenten - nämlich die hydromorphologischen, physikalisch-chemischen und (sonstigen) biologischen - befänden sich zwar in einem "sehr guten" Zustand. Ausschlaggebend für die gesamte Beurteilung eines Gewässerzustandes sei jedoch jene Komponente mit der schlechtesten Bewertung. Es sei auf Grund des wasserrechtlichen Verbesserungsgebotes ein zumindest "guter" Zustand des Gewässers zu erreichen. Die Errichtung der Bootshütte würde jedoch einer solchen Verbesserung entgegenstehen oder zumindest nicht auf eine solche hinwirken, so das Landesverwaltungsgericht Kärnten.
Die Gesellschaft erhob gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Revision. Sie bestritt, dass das Verbesserungsgebot der Errichtung der Bootshütte entgegenstünde.
Für den VwGH sind im Verfahren Zweifel bei der Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie entstanden. Diese regelt in einem ihrer Anhänge, welche Qualitätskomponenten zur Beurteilung des Gewässerzustandes heranzuziehen sind. Dabei handelt es sich um eine Reihe von hydromorphologischen, physikalisch-chemischen und biologischen Qualitätskomponenten, für deren Klassifizierung (in "sehr gut" bis "mäßig") in der Regel bloße Zustandsbeschreibungen vorgegeben sind, die nicht auf eine bestimmte Ursache Bezug nehmen. Anders jedoch in der hier einschlägigen biologischen Qualitätskomponente "Fischfauna": Dort wird (mit Ausnahme von "sehr gut") vorausgesetzt, dass der verschlechterte Zustand auf einen menschlichen Einfluss (einen anthropogenen Einfluss) auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten zurückzuführen ist. Aus Sicht des VwGH schließt eine solche Definition - rein vom Wortlaut - andere menschliche Einflüsse auf die Fischfauna, etwa durch Fischerei aus. Ein "sehr guter" Zustand der Fischfauna wird wiederum als jener Zustand definiert, der (nahezu) vollständig den Gewässerbedingungen bei Abwesenheit "störender Einflüsse" entspricht (ohne hierbei näher festzulegen, welche Art von Einflüssen gemeint ist).
Damit stellt sich für den VwGH nunmehr die Frage, ob für die Klassifizierung der Qualitätskomponente "Fischfauna" allein deren Zustand ohne Berücksichtigung der Ursachen heranzuziehen ist (von dieser Auslegung ging das Landesverwaltungsgericht aus) oder ob in diesem Fall unter "störenden Einflüssen" (eingeschränkt) nur anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten zu verstehen sind (1. Frage). Dies würde bedeuten, dass Einflüsse auf den Zustand der Fischfauna, also etwa die Zusammensetzung der Fischarten, die - wie beim Weißensee - allein auf die Fischerei zurückzuführen sind, für die wasserrechtliche Bewertung des Oberflächengewässers nicht berücksichtigt werden müssten.
Bei einer strikt wörtlichen Auslegung der Richtlinie wäre noch eine dritte Variante möglich: Demnach würden störende Einflüsse auf die Fischfauna, die nicht auf anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten zurückzuführen sind, einen "guten" oder "mäßigen" Zustand ausschließen und daher bestenfalls zu einer Beurteilung mit "unbefriedigend" führen (2. Frage).
Welche der drei Auslegungsvarianten der Richtlinie entspricht, soll durch die Beantwortung der folgenden Vorlagefragen geklärt werden.
Die Vorlagefragen im Wortlaut:
1. Ist Anhang V Punkt 1.2.2 (Begriffsbestimmungen für den sehr guten, guten und mäßigen ökologischen Zustand von Seen) der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik dahingehend auszulegen, dass unter „störenden Einflüssen“ in der Tabelle „Biologische Qualitätskomponenten“, Zeile „Fischfauna“, Spalte „Sehr guter Zustand“ ausschließlich anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten zu verstehen sind?
Im Fall der Verneinung der ersten Frage:
2. Ist die genannte Bestimmung dahingehend auszulegen, dass eine Abweichung der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ vom sehr guten Zustand, die auf andere störende Einflüsse als anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten zurückzuführen ist, dazu führt, dass die biologische Qualitätskomponente „Fischfauna“ auch nicht in einen „guten Zustand“ oder einen „mäßigen Zustand“ einzustufen ist?
Mit Urteil vom 21. März 2024, C-671/22, hat der EuGH wie folgt geantwortet:
"Anhang V Rn. 1.2.2 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik
ist dahin auszulegen, dass
zum einen hinsichtlich der Kriterien für die Beurteilung der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ unter „anthropogener Störung“ im Sinne dieser Randnummer jede Störung zu verstehen ist, der eine menschliche Tätigkeit zugrunde liegt, einschließlich jeder Änderung, die die Zusammensetzung und Abundanz der Fischarten beeinträchtigen kann, und dass zum anderen jede dieser Störungen für die Einstufung des ökologischen Zustands der Fischfauna von Bedeutung ist."
In weiterer Folge hob der VwGH die angefochtene Entscheidung mit Erkenntnis vom 6. Mai 2024, Ro 2020/07/0004, auf.