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Frühere Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union können im Archiv eingesehen werden.

23.06.2023 Gemeinsame Agrarpolitik: Gekoppelte Stützung im Jahr 2020 für Almrinder bei verspäteter Meldung des Almauftriebs?

Ro 2022/07/0003 (EU 2023/0003) vom 1. Juni 2023, C-350/23

Der dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegende Fall betrifft einen Landwirt, der EU‑Beihilfen - nämlich eine "gekoppelte Stützung" - für seine im Jahr 2020 auf die Alm getriebenen Rinder beantragte. Die Antragstellung erfolgt nach der Direktzahlungs-Verordnung 2015 zunächst dem Grunde nach und in weiterer Folge durch die Meldung des Almauftriebs, die in der elektronischen Tierdatenbank erfasst wird.

Voraussetzung der Gewährung der gekoppelten Stützung ist unter anderem die ordnungsgemäße Kennzeichung und Registrierung der Tiere nach der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000. Die maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts und des nationalen Rechts verlangen insoweit unter anderem auch, dass die Meldung des Auftriebs von Rindern auf Almen binnen 14 Tagen erfolgt. Der Landwirt trieb am 9. und am 28. Mai 2020 Rinder auf eine Alm auf. Hinsichtlich des Auftriebs am 28. Mai 2020 erfolgte eine rechtzeitige Meldung, die in der Tierdatenbank erfasst wurde. Den Almauftrieb am 9. Mai 2020 meldete der Landwirt erst nach Ablauf der 14-tägigen Frist am 15. Juni 2020, weshalb insoweit keine ordnungsgemäße Kennzeichnung und Registrierung der Tiere vorlag.

Verstöße gegen die Pflicht zur Kennzeichnung und Registrierung führen nach dem Unionrecht - dem Grundsatz nach - einerseits dazu, dass für die betroffenen Tiere keine gekoppelte Stützung zusteht sowie - je nachdem wie viele Tiere betroffen sind - auch zur Verhängung weiterer Sanktionen. Die Agrarmarkt Austria (AMA) sprach dem Landwirt in diesem Sinn für die am 9. Mai 2020 aufgetriebenen Rinder keine gekoppelte Stützung zu und verhängte zusätzlich Sanktionen, was zu einer Kürzung der gekoppelten Stützung auch für die am 28. Mai 2020 aufgetriebenen Tiere und einem Einbehalt weiterer Förderungen führte. Das Bundesverwaltungsgericht erkannte ebenso für betroffenen Tiere keine Beihilfe zu, sah aber von der Verhängung von Sanktionen ab. Nach Ansicht des VwGH stellen sich aufgrund der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Revision Fragen des Unionsrechts, die gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof herangetragen wurden:

Art. 30 Abs. 4 lit. c Verordnung (EU) Nr. 640/2014 schränkt die Rechtsfolge der unterbliebenen Kennzeichnung und Registrierung von Tieren ein. Danach führt unter anderem eine "fehlerhafte Eintragung" in die Tierdatenbank erst dann dazu, dass die Tiere nicht als ermittelt gelten, wenn derartige fehlerhafte Eintragungen bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb von 24 Monaten festgestellt werden, soweit die Eintragungen für die Überprüfung der Einhaltung der sonstigen Beihilfefähigkeitsvoraussetzungen nicht ausschlaggebend sind. Da die Meldung des Auftriebs der Tiere der Eintragung in die Tierdatenbank dient, erscheint es denkbar, dass die Verspätung der Meldung als "fehlerhafte Eintragung" in die Tierdatenbank im Sinn des Art. 30 Abs. 4 lit. c Verordnung (EUNr. 640/2014 angesehen werden könnte, sodass die gekoppelte Stützung unter Beachtung, dass deren Voraussetzungen im Übrigen erfüllt waren und eine Verspätung der Meldung nur einmalig erfolgte, für die am 9. Mai 2020 aufgetriebenen Tiere zustehen könnte und schon deshalb auch keine Sanktionen zu verhängen wären. Ob dies zutrifft, wird vom VwGH mit der ersten Frage an den Europäischen Gerichtshof herangetragen.

Sollte der Europäische Gerichtshof die erste Frage verneinen und daher keine gekoppelte Stützung für die am 9. Mai 2020 aufgetrieben Tiere zustehen, ist zu untersuchen, ob zusätzlich Sanktionen zu verhängen sind. Nach Art. 15 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 640/2014 finden die Sanktionen keine Anwendung auf die Teile des Beihilfe- oder Zahlungsantrags, für die der Begünstigte die zuständige Behörde schriftlich darüber informiert, dass der Beihilfe- oder Zahlungsantrag fehlerhaft ist, es sei denn, die zuständige Behörde hat dem Begünstigten ihre Absicht, eine Vor-Ort-Kontrolle durchzuführen, bereits mitgeteilt oder ihn bereits über Verstöße in Bezug auf den Beihilfe- oder Zahlungsantrag unterrichtet. Nach Art. 34 Verordnung (EUNr. 640/2014 findet Art. 15 in Bezug auf angemeldete Tiere ab dem Zeitpunkt der Einreichung des Beihilfe- oder Zahlungsantrags auf Fehler und Versäumnisse betreffend Eintragungen in der elektronischen Datenbank für Tiere Anwendung.

Durch die (verspätet erfolgte) Meldung des Auftriebs der Tiere vom 9. Mai 2020 durch den Landwirt wurde die Eintragung in der nationalen Datenbank nachgeholt und insoweit ein Versäumnis behoben. Die Behörde hat davor auch nicht die Absicht mitgeteilt, eine Vor-Ort-Kontrolle durchzuführen, oder den Antragsteller über Verstöße des Beihilfenantrags informiert. In diesem Sinn könnte eine Anwendung von Art. 34 in Verbindung mit Art. 15 Verordnung (EUNr. 640/2014 zu bejahen sein, sodass keine Sanktionen zu verhängen wären. Da aber auch insoweit die vorgelegte Frage vom Europäischen Gerichtshof noch nicht entschieden wurde und die richtige Anwendung des Unionsrechts auch nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt, wurde insoweit die zweite Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.


Volltext des Beschlusses


Die Vorlagefragen im Wortlaut:

1. Handelt es sich hinsichtlich eines für das Jahr 2020 betreffend die Gewährung einer gekoppelten Stützung gestellten Beihilfeantrags für Tiere im Sinn des Art. 2 Abs. 2 Z 15 Verordnung (EU) Nr. 640/2014, für den im Sinn des Art. 21 Abs. 4 Verordnung (EU) Nr. 809/2014 die Angaben in der elektronischen Datenbank für Rinder herangezogen werden, bei einer erst nach Ablauf der Frist von 15 Tagen nach Auftrieb der Tiere (Rinder) auf eine Weide gemäß Art. 2 Abs. 2 und 4 der Entscheidung der Kommission vom 20. August 2001, 2001/672/EG, in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 erstatteten Meldung um eine fehlerhafte Eintragung in die elektronische Datenbank für Rinder, die nach Art. 30 Abs. 4 lit. c Verordnung (EU) Nr. 640/2014 für die Überprüfung der Einhaltung der Beihilfefähigkeitsvoraussetzungen - mit Ausnahme der Voraussetzung gemäß Art. 53 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 639/2014 - im Rahmen der betreffenden Beihilferegelung oder Stützungsmaßnahme nicht ausschlaggebend ist, sodass die betreffenden Tiere erst dann als nicht ermittelt gelten, wenn eine solche fehlerhafte Eintragung bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb von 24 Monaten festgestellt wird?

2. Für den Fall der Verneinung der ersten Frage:

Finden im Sinn von Art. 15 Abs. 1 und 34 Verordnung (EU) Nr. 640/2014 bei dem in der ersten Frage bezeichneten Antrag auf gekoppelte Stützung die im Kapitel IV Verordnung (EU) Nr. 640/2014 vorgesehenen Verwaltungssanktionen Anwendung, wenn der Betriebsinhaber an die zuständige Behörde eine schriftliche Meldung nach Art. 2 Abs. 2 und 4 der Entscheidung der Kommission vom 20. August 2001, 2001/672/EG, in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 und 2 Verordnung (EG) Nr. 1760/2000, betreffend den Auftrieb von Tieren auf eine Weide erstattet, wobei sich aus der Meldung deren Verspätung hinsichtlich der Frist von 15 Tagen nach diesen Bestimmungen ergibt, soweit die zuständige Behörde dem Antragsteller eine Absicht, eine Vor-Ort-Kontrolle durchzuführen, zuvor nicht mitgeteilt und ihn auch nicht bereits über Verstöße in Bezug auf den Beihilfeantrag unterrichtet hat?

Mit Urteil vom 19. September 2024, C-350/23, hat der EuGH wie folgt geantwortet:

1. Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 Nr. 2 Buchst. a und Nr. 18 Buchst. a sowie Art. 30 Abs. 4 Buchst. c der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 der Kommission vom 11. März 2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem und die Bedingungen für die Ablehnung oder Rücknahme von Zahlungen sowie für Verwaltungssanktionen im Rahmen von Direktzahlungen, Entwicklungsmaßnahmen für den ländlichen Raum und der Cross-Compliance in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/723 der Kommission vom 16. Februar 2017 geänderten Fassung 
sind dahin auszulegen, dass
eine Meldung des Auftriebs von Rindern auf Sommerweiden in Berggebieten, die die vom betreffenden Mitgliedstaat gemäß Art. 2 Abs. 2 und 4 der Entscheidung 2001/672/EG der Kommission vom 20. August 2001 mit besonderen Regeln für die Bewegungen von Rindern im Fall des Auftriebs auf die Sommerweide in Berggebieten in der durch den Beschluss 2010/300/EU der Kommission vom 25. Mai 2010 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates in der durch die Verordnung (EU) Nr. 653/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 geänderten Fassung festgelegte Frist nicht einhält, nicht als fehlerhafte Eintragung in die elektronische Tierdatenbank angesehen werden kann, die im Sinne von Art. 30 Abs. 4 Buchst. c der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 für die Überprüfung der Einhaltung der Beihilfefähigkeitsvoraussetzungen bei diesem Antrag nicht ausschlaggebend ist, so dass diese Tiere nicht als unter die Kategorie „ermitteltes Tier“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 Nr. 18 Buchst. a dieser Delegierten Verordnung fallend angesehen werden können.

2. Art. 15 Abs. 1 und Art. 34 der Delegierten Verordnung Nr. 640/2014 in der durch die Delegierte Verordnung 2017/723 geänderten Fassung
sind dahin auszulegen, dass
die in Art. 31 dieser Delegierten Verordnung vorgesehenen Verwaltungssanktionen nicht angewendet werden dürfen, wenn die Meldung des Auftriebs der Rinder auf die Sommerweiden durch die Eingabe der fraglichen Daten in die elektronische Tierdatenbank verspätet erfolgte, die zuständige Behörde dem Begünstigten aber nicht bereits ihre Absicht, eine Vor-Ort-Kontrolle durchzuführen, mitgeteilt hatte, und er von dieser Behörde nicht bereits über einen von ihr festgestellten Verstoß unterrichtet worden war.

In weiterer Folge hat der VwGH die Revision mit Erkenntnis vom 12. November 2024, Ro 2022/07/0003, abgewiesen.